Ute Fesquet — ehemals Vice President, jetzt Senior Executive Producer & Management Consultant bei Deutsche Grammophon/Universal
Erzähl uns von Deinem beruflichen Werdegang…
Als sich meine Schulzeit dem Ende näherte, wusste ich eigentlich nur, was ich nicht wollte: In die Fußstapfen meiner Eltern, Großeltern und Urgroßeltern treten, die Lehrer, Kantore und Musiklehrer waren. „Was willst du denn dann eigentlich?“, fragte ich mich. Fest stand: Ich wollte unbedingt etwas mit klassischer Musik zu tun haben. Ich komme aus einer Gegend, in der es nicht gerade ein Überangebot an klassischer Musik gab, aber ich habe alles, was es gab, aufgesogen wie ein Schwamm. Ich habe gesungen, seitdem ich denken kann, und Cello gespielt; für mich war das eine totale Mission, diese Begeisterung weiterzutragen. Ich konnte nicht verstehen, warum andere nicht ebenso fasziniert von dieser Musik sind. Zuerst hatte ich die Idee, Musikkritikerin zu werden. Das müsse doch ein toller Job sein, weil man einfach immer Konzerte besuchen kann. Außerdem schrieb ich sehr gerne, da könnte man zwei tolle Sachen miteinander verbinden. Bei einer Lokalzeitung wurde ich total ins kalte Wasser geschmissen und musste alles Mögliche machen. Eine Tageszeitungsredaktion ist ein ziemlicher Durchlauferhitzer. Du eignest dir etwas an und gibst das weiter, ohne das viel hängen bleibt, und dann bist du schon wieder beim nächsten Thema.
Dann habe ich dem Drängen meiner Eltern nachgegeben: Ich suchte mir Fächer aus, über die ich gerne mehr wissen wollte, habe Geschichte, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft studiert und die Gelegenheit im Studium genutzt, das weiterzumachen, was ich schon gemacht habe, nämlich zu schreiben. Aber ich habe mich auch umgeguckt, welche Arbeitsbereiche sonst noch mit Musik zu tun haben, und festgestellt, dass es eine Riesen-Spielwiese ist. Ich war da natürlich als Studentin auch in Hamburg am richtigen Ort und konnte bei der Deutschen Grammophon anfangen. Dann war ich in Wien und habe bei Universal Edition wirklich noch in der Notenstecherei ein Praktikum gemacht; obwohl das alles schon Fotosatz war, hieß es noch so. Ich habe auch im Burgtheater in der Dramaturgie gearbeitet und einfach verschiedenste Möglichkeiten genutzt, meinen Horizont zu erweitern. Ich wusste ganz sicher, dass ich keine Kulturwissenschaftlerin sein will, die ihr Dasein in Bibliotheken fristet, und so habe ich schon während des Studiums die meiste Zeit nebenberuflich in Bereichen gearbeitet, die mit dem zusammenhängen, was ich heute noch tue.
Letzten Oktober hatte ich mein zwanzigjähriges Dienstjubiläum bei der Deutschen Grammophon. Das ist eine Reise mit vielen verschiedenen Stationen gewesen. Als ich neulich mit Kollegen auf mein Jubiläum angestoßen habe, wurde ich gefragt, woher das kommt, dass ich immer noch so für klassische Musik brenne. Ich hatte mein Leben lang eine starke emotionale Bindung dazu. Manchmal ist das auch ein Fluch, aber überwiegend ein Segen. Es ist heute geradezu anachronistisch, aber wiederum auch nicht untypisch, wenn man so früh wie ich in so einem Unternehmen arbeitet, wo eigentlich alles zusammenpasst – also die Werte, das Thema und mein Drang, irgendwie der Routine zu entfliehen. Wenn man es ein bisschen abstrahiert, zieht sich also ein roter Faden durch meinen Karriereweg. Ich hatte durch meine unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche – Marketing, Künstlerbeziehung, Produkt, und dann die Königsdisziplin A&R (Artists & Repertoire) – immer eine universelle Perspektive, was ich toll fand. Man sagt ja immer, Musik sei eine globale Sprache, aber es ist interessant zu sehen, dass das Produkt dann eben doch nicht so global ist, wie man manchmal denkt. Natürlich sind unsere Künstler musikalisch überall unterwegs, aber das bedeutet nicht, dass in Japan das Gleiche gefragt ist wie in den USA.
Bei der Deutschen Grammophon entdecken wir Repertoire wieder und beleuchten es neu. Die Künstler, die wir unter Vertrag haben, sehe ich als Sonderbotschafter, die da draußen unterwegs sind, und die die Begeisterung für Musik mit anderen teilen. Egal, in welcher Generation Sie sind – ob Sie mit jungen Leuten in der Ausbildung arbeiten oder ob Sie selbst ganz jung sind und sagen, ich lasse alles andere sausen, ich habe mein Instrument und meine Berufung. Ich finde, das ist ganz toll!
Gab es auf Deinem Karriereweg Vorbilder oder Mentor*innen?
Ja, die gab es immer: Zunächst war da der Chefredakteur der Zeitung, bei der ich als werdende Musikkritikerin ein Praktikum gemacht hatte. Er sagte „So, jetzt setzen wir uns mal hin und unterhalten uns über Journalismus.“ Er hat gesehen, dass ich Talent habe zum Schreiben und vor allem ein Gespür für Geschichten, für Persönlichkeiten, für Begegnungen. Und er war sehr direkt, manchmal auch sehr herausfordernd, gab mir aber immer das Gefühl, dass ich aufpassen muss, dass ich meine Zeit nicht verschwende, nur weil jemand etwas von mir erwartet. Auch einige ältere Kolleginnen und Kollegen haben mir Wichtiges vorgelebt.
Aber die nächste wirklich prägende Person in meinem beruflichen Leben war Sabine Max, die Leiterin des deutschen Markts, als ich bei der Deutschen Grammophon angefangen habe. Vor ihr hatte ich einen Heidenrespekt. Sie war super „tough“, wie man sich Frauen in einer sehr männlich geprägten Branche vorstellt. Auf jeden Anruf mit ihr, um Ideen für unser Repertoire zu besprechen, habe ich mich akribisch vorbereitet. Und dann wählte ich ihre Nummer, und nach einem halben Satz war mein Papier überflüssig und sie hat mir die Geschäftswelt erklärt. Sie hat mir nicht alles um die Ohren gehauen, aber mir gesagt, welche Fragen ich mir stellen muss. Das war wirklich eine Herausforderung im konstruktiven Sinne. Jedes Mal habe ich etwas mitgenommen. Später wechselte sie zum Label und war da internationale Marketingchefin. Sie stellte mir dann Künstler vor und hat mich regelrecht gecoached. Dabei war sie überhaupt nicht zimperlich. Ich war manches Mal am Boden zerstört, weil etwas nicht funktioniert hatte oder mir jemand einen Stuhl vor die Tür stellen wollte. Ich glaube, sie schätzte diese Emotionalität und das Einfühlungsvermögen an mir, aber gleichzeitig vermittelte sie mir, dass ich mir einen Schutzmantel zulegen muss, wenn ich in der Branche überleben will.
Ihr Nachfolger als Präsident, Michael (Lang), hat mich auf ganz andere Weise sehr gefördert. Als Amerikaner hatte er eine für mich neue Herangehensweise. Er sagte in einem Personalgespräch zu mir „I consider you as managing material“. Das war überraschend, denn ich bin kein Machtmensch in dem Sinne, dass ich Macht für mein persönliches Fortkommen eingesetzt hätte. Mir geht es um die Sache, ich bin ein Überzeugungstäter. Ich kann jedoch zäh, hartnäckig und sehr beharrlich sein, wenn ich von etwas überzeugt bin, und möchte gestalten. Ich habe den Willen, meine Überzeugung mit anderen zu teilen und klarzumachen, warum sie mit mir gehen müssen. Ich mache das auf meine Art, und nicht mit der Faust auf dem Tisch. An meinem Job fasziniert mich, dass es keine Wiederholung gibt und die Arbeit geprägt ist von ständiger Innovation. Das war auch persönlich immer ein Antrieb. Was kommt als Nächstes? Ich habe bei der Deutschen Grammophon angefangen als Produktmanagerin, wo tolle Produkte entstehen. Allein in meinem Bekanntenkreis hatte ich jedoch das Gefühl, dass die meisten nichts davon mitkriegen. Deshalb wollte ich doch wieder stärker an die Stelle, wo solche Sachen vermittelt und weitergetragen werden – ins Marketing. Als ich dies mit meiner Chefin Sabine Max besprach, guckte sie mich an und sagte: „Ich hasse dich – und du hast vollkommen recht, du musst gehen! Das ist genau die Schnittstelle.“ Diesen Motor, der Wunsch, etwas und natürlich auch sich selbst zu verändern, hat später dann Michael erkannt und für neue Herausforderungen gesorgt.
Im Bereich A&R ging dann wirklich alles sehr schnell, sogar ein bisschen zu schnell. Nach eineinhalb Jahren dort fragte er mich, ob ich den Bereich leiten könnte, ob mir das Spaß machen würde. Der Wechsel vom Head of International Marketing zu A&R war rein hierarchisch ja ein Schritt zurück gewesen; aber ich hatte überhaupt kein Problem, ins Glied zurückzutreten, und fand es ganz gut, die politischen Dinge in so einem Konzern außen vor lassen zu können. Auf der neuen Stelle als Executive Producer war ich nun sozusagen Unternehmerin im Unternehmen. Da ist man recht autark. Für mich war diese neue Aufgabe, schließlich die Leitung der Künstler- und Repertoirebereiche zu übernehmen, großartig, unter anderem ein Team zusammenzubauen, und nach Berlin mit einem neuen Team zu wechseln – das hat großen Spaß gemacht.
Wie hast Du Deine erste Position als Chefin erlebt, das Anleiten von Mitarbeiter*innen und so weiter?
Das ist ein Prozess des Hineinwachsens und Lernens. Einige Kolleginnen und Kollegen waren schon viele Jahre dabei und dachten sicher: „Ich weiß, wie das geht, und jetzt setzen die mir jemanden vor, der aus dem Marketing kommt.“ Das war nicht so einfach, und damit muss man auch umgehen können. Ich war als Journalistin, Musikwissenschaftlerin und Produktmanagerin in dem Bereich erstmal „artfremd“; so etwas macht mir großen Spaß, mir neue Zusammenhänge zu erschließen. Das ist bis heute so. Auch im A&R geht es um Begegnungen, es geht darum, Konstellationen herzustellen, die funktionieren können. Wenn ich merke, dass Leute gut miteinander können und sich gegenseitig verstärken, ist das ein großes Glücksgefühl, und diese Motivation kam mir auch als Vorgesetzte zugute. Der Teamgedanke ist mir total wichtig – ich finde es toll, wenn Leute einen unterschiedlichen Erfahrungshorizont haben, verschiedene Interessen, auch verschiedene kulturelle Hintergründe. Personalführung, Personalentwicklung – das macht mir nach wie vor Spaß.
Lediglich die Frequenz, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wechseln, ist auf manchen Positionen problematisch. Da muss man dann aufpassen, dass man nicht auslaugt, wenn man ständig wieder bei null anfängt und die Konstante sein muss.
Woran liegen diese vielen Wechsel heutzutage?
Ich glaube, es gibt verschiedene Gründe. Zum einen hat sich die Einstellung zum Berufsleben grundlegend geändert. Erst vor einigen Tagen saß ich mit Kolleginnen zusammen, die schon länger im Amt sind. Eine von ihnen erzählte, sie gehe manchmal von ihrem Büro im sechsten Stock durch die Abteilung nach unten, und um halb sieben sei da kein Mensch mehr anzutreffen. Das heißt natürlich nicht, dass die Mitarbeiter dort nicht arbeiten, aber bei uns war das eher so, dass wir um sieben überlegt haben, was wir zum Abendessen organisieren. Und von dort aus ging es dann zu irgendwelchen Konzerten und morgens waren wir zum Frühstück wieder da. Wir haben auch miteinander gelebt. Das hat sich verändert, weil man mit seinen Gerätchen heute von jedem Ort der Welt aus tätig sein kann und auch im Austausch ist. Ich will das überhaupt nicht werten, aber es stärkt nicht so sehr das Wir-Gefühl, wenn man als Einzelkämpferin der Kollegin nebenan per E‑Mail noch eine Schippe drauflegt, statt kurz den Kopf um die Ecke zu stecken und zu sagen: „Kann ich dich kurz was fragen?“
Das hat die Qualität des Arbeitens stark verändert und wahrscheinlich auch das Bedürfnis geweckt, Grenzen zu ziehen.
Zum anderen gibt es aus budgettechnischen Gründen viel öfter befristete Stellen, weil die Entwicklung nicht vorhersehbar ist. Im gesamten Medienbereich ist ja durch die Digitalisierung ein gigantischer Transformationsprozess ins Rollen gekommen, der diese Dualität mit sich bringt: Einerseits wollen und müssen wir das Neue tun, andererseits können und dürfen wir das Alte aber nicht lassen, weil das immer noch der Ast ist, auf dem wir sitzen. Das macht zum Beispiel die Arbeit eines Produktmanagers irre komplex. All diese Faktoren führen dazu, dass es zwar ein spannender Job in einem fantastischen Umfeld ist, die Leute aber irgendwie weiterziehen müssen, wenn sich nicht unmittelbar im Unternehmen etwas ergibt.
Mich beschäftigt das, denn eine etablierte Marke wie die Deutsche Grammophon – wir sind inzwischen 120 – lebt auch von den Menschen, die mit ihr verbunden sind. Und das sind nicht nur die Künstler, das sind eben auch Urgesteine unter den Kolleg*innen, die Jahrzehnte dabei sind.
Tradition ist ja nicht nur das Aushängeschild. Sie sollte innerhalb des Unternehmens gelebt werden.
Genau, diese beiden Pole – Tradition und Innovation. Jedoch sind die vielen Wechsel heute auch gar keine Schande. Als ich in den Beruf startete, gerade als Beamtentochter, suchte man eine Lebensstellung. Ich fand das Wort damals schon furchtbar, ich wollte keine Lebensstellung. Das klingt so nach „lebenslänglich“, als wäre man dann gefangen und dürfte nicht mehr raus. Aber auf jeden Fall wären Stellenwechsel im zweijährigen Rhythmus für den Lebenslauf nicht so toll gewesen. Heute muss man sich einen Lebenslauf natürlich sehr genau anschauen, weil vieles nur so aufgeplustert ist und eigentlich gar nichts heißt. Oft rate ich Mitarbeiter*innen, die sich weiterentwickeln möchten, aber auch zu gehen, um wiederzukommen. Intern gibt es durchaus Beispiele von Kolleginnen und Kollegen, die nach einem Ausflug wieder zurückkommen und neue Erfahrungen mitbringen. Das finde ich gar nicht so verkehrt.
Das Thema Work-Life-Balance ist heute viel präsenter, was ja nicht unbedingt schlecht ist. Früher war es ganz normal, aus seiner Agentur nicht vor neun wegzukommen…
Ja, das bewundere ich. Gerade wenn man die Ambition hat, die Arbeit mit einer Familie zu verbinden, geht das gar nicht anders. Ich hatte das Glück, mir durch meine Flexibilität einen gewissen Kredit zu erwerben, so lange ich noch keine Familie hatte. Deshalb kann ich den Schwerpunkt jetzt bewusst anders setzen, wenn auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Das hat viel mit dem Arbeitsumfeld zu tun. In meinem Team zum Beispiel sitzen zwei Produzentinnen, die beide 75% arbeiten. Die eine hat ein ganz kleines Kind, die andere hat zwei Schulkinder. Beide sind nicht alleinerziehend, dennoch würde es mit einer Vollzeitstelle so nicht klappen. Da kommt wieder der Teamgedanke zum Tragen.
Vor allem bei Frauen, auch bei mir selbst, beobachte ich dieses starke Pflichtbewusstsein, sowohl auf der beruflichen als auch auf der familiären Seite, und diesen großen Anspruch an sich selbst, an dem man eigentlich nur scheitern kann: Wir wollen beidem total gerecht werden – eine tolle Mama sein, die eben nicht einen 80-Wochenstunden-Job hat, und gleichzeitig super erfolgreich im Beruf. Plötzlich können banale Dinge das persönliche Scheitern bedeuten: Das Kind bringt aus der Kita irgendwelche Viren mit und Sie werden krank, und zwar so krank, wie Sie es wahrscheinlich in Ihrem ganzen Leben davor nicht waren. Sie müssen halblang machen, und keiner nimmt darauf Rücksicht. Die Arbeit wird weiterhin einfach abgeladen und Sie müssen sich damit auseinandersetzen, sonst bleiben Sachen liegen und unbeantwortet.
Eine Struktur zu schaffen und zu haben, die so etwas auffangen kann, das ist eine große Herausforderung. Ich bin mir auch nicht sicher, wie gewünscht das in der Unternehmenskultur tatsächlich ist. Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass es in meinem Werdegang mit Sabine Max eine zentrale Frauenfigur gab. Die war natürlich eine Ausnahmeerscheinung, doch hat sie mir immer vermittelt: „Macht halt und nehmt einfach das Heft in die Hand! Zeigt, dass ihr das könnt und dass es geht und versucht nicht irgendwie, das mit den Mitteln zu tun, mit denen eure Sandkastenkollegen mit den Förmchen um sich schmeißen – macht euer Ding.“ Nicht von wegen, „wir sind benachteiligt und man lässt uns nicht.“ Das war bei allen Kolleginnen so, um die sie sich gekümmert hat, nicht nur bei mir, und das ist eine wichtige Botschaft.
Kritisch betrachtet hatte die Deutsche Grammophon in ihrer 120-jährigen Geschichte noch nie eine Präsidentin. In der obersten Position waren immer Männer. Doch sind inhaltlich relevante Positionen wie meine auch vor mir schon von kompetenten Frauen besetzt gewesen. Ich habe das Gefühl, die Dinge mitgestalten zu können, die mir wichtig sind. Ich kann dazu beitragen, dass wir glänzen und gut aussehen. Aber in so einem Konzern unternehmenspolitisch arbeiten zu wollen, ist eine Entscheidung. Ob man das will, fragt man sich im Verlauf der Karriere nicht nur einmal. Und in gewissen Momenten muss man seinen Hut auch wirklich in den Ring werfen.
Hattest Du Dir diese Führungsposition jemals gewünscht, oder war das nicht erstrebenswert?
Bei einem Label ist das A&R einfach der wichtigste Bereich, die Keimzelle und das Zentrum der gesamten Aktivitäten. Durch die Verbindung mit der Operating Company, also der Vertriebsgesellschaft, hat sich das etwas verändert. Wir sind heute stärker mit dem deutschen Markt als mit allen anderen verbunden, was andere Aufgaben für den Präsidenten der Deutschen Grammophon mit sich bringt, wie die Verantwortung für die Vermarktung von Veröffentlichungen der weiteren Klassiklabel sowie Jazz. Hierfür würde mir wahrscheinlich die direkte Erfahrung im kommerziellen Geschäft fehlen. Ich war ja immer Teil der Repertoire-Gesellschaft, die natürlich auch die Voraussetzungen dafür schaffen muss, dass Umsätze gemacht werden können. Jedoch wollte ich immer möglichst nah am Produkt, an der Produktion, sein, so dass es letztlich eher eine fachliche Überlegung war. Wie auch bei einem Festival müssen Sie sich entscheiden: „Möchten Sie Intendant sein oder kaufmännischer Geschäftsführer?“ Meine Entscheidung basierte weniger auf der Frage, ob ich mir das zutraue, sondern war vielmehr inhaltlicher Natur.
Gibt es in Deinen Augen bei Frauen entscheidende Fähigkeiten oder Eigenschaften, um im Kulturmanagement und explizit im Bereich Label voranzukommen?
Ich glaube, es ist kein Zufall, dass manche Frauen, wie auch ich, in dieser Position sind. Dieses Hartnäckige und diese Belastbarkeit, die Einstellung, dass Sachen irgendwie gemacht werden müssen, auch wenn es in dem Moment zu viel ist; das ist eine Einstellung, die erfolgreiche Frauen gemein haben, und ich könnte mir vorstellen, dass das eine wichtige Fähigkeit ist. Eine Schlüsselkompetenz ist außerdem Kommunikation. Auch aktives Mitdenken und vernetztes Denken; im Blick haben, was um einen herum passiert, um die eigene Arbeit, aber auch Trends vorausschauend einordnen zu können – solche Stärken werden klischeehaft Frauen zugeordnet. Letztlich geht es um eine gewisse Flexibilität im Denken und Handeln.
Gibt es etwas, das Du auf Deinem beruflichen Weg anders gemacht hättest, hättest Du Dein heutiges Wissen bereits zu Beginn Deiner Laufbahn gehabt? Und welchen Rat würdest Du heutigen Berufsanfängerinnen mit auf den Weg geben?
Über dieses Thema rede ich derzeit viel mit meiner Tochter und meinen heranwachsenden Patenkindern, drei Mädchen. Ich weiß nicht warum, aber für Frauen sind Karriere und Familie immer noch schwer unter einen Hut zu bringen. Das verändert sich gerade etwas. Meine Eltern haben immer gesagt: „Wir glauben an dich, wir investieren in dich, du sollst unabhängig werden.“ Bei meiner Mutter ging das soweit, dass sie sogar gesagt hat: „Von mir aus musst du keine Kinder in die Welt setzen, sieh zu, dass du einen tollen Beruf findest.“ In unserer Generation war es schon üblich, alles nur auf eine Karte zu setzen. Du bildest dich aus, du investierst, das tust du nicht, um einen Kinderwagen durch die Gegend zu schieben. Und wenn die Kinder mit 16 sagen „Alles klar, ich komme allein zurecht“ – was dann?
Ich würde Frauen heute ermutigen, Beruf und Familie von Anfang an gemeinsam zu denken – nicht eins nach dem anderen. Im Idealfall ist das keine Aufgabe, die man alleine bewältigen muss, sondern meistens gibt es ja auch noch einen Vater zu diesen Kindern. Dass man das mit einer größeren Selbstverständlichkeit mit in das Berufsleben hineinnimmt, und dass man sich auch das Territorium dafür erkämpft, das wünsche und rate ich jungen Frauen – es soll kein „Entweder-oder“ sein, sondern ein „Sowohl-als-auch“ sein. Speziell in Deutschland ist Universal zum Beispiel ein Arbeitgeber, der dafür steht, Möglichkeiten zu schaffen. Da gibt es Teilzeitarbeit und eine Kita. Es gibt auch Beratung und Coachings, gerade auch zur Burnout-Prävention, die praktisch kostenfrei Universal-Mitarbeiter*innen und deren Familien angeboten werden. Das ist ein ganz tolles Angebot, das auch sehr gut angenommen wird.
Das ist in der Kulturbranche ja ein totales Unikat.
Ja, das muss man schon sagen. Gestern Abend war ich erst in einem Konzert mit zwei jungen Kolleginnen. Um elf Uhr habe ich mich verabschiedet, weil ich heute Morgen einen französischen Austauschschüler abholen musste. Und dann haben sie gesagt: „Ute, für uns bist du so eine richtige Anchor Woman. Wir wissen nicht genau, wie du das schaffst, mit Familie und diesem Wahnsinns-Job, aber es ist eine tolle Botschaft, dass das geht, und auch, wie du das machst.“ Man sollte es einfach machen. Und ich glaube, je selbstverständlicher und selbstbewusster man damit auftritt, ohne dass man dieses „Mutter sein“ total vor sich herträgt, desto besser funktioniert es. Mir wurde eher mit Respekt und Anerkennung begegnet als mit Unverständnis. Ich habe aber auch erlebt, dass der Säugling alle zwei Stunden zum Stillen vorbeigebracht und in der Teeküche gewindelt wurde, was bei Kolleginnen und Kollegen das Klischee bestätigt, die frisch gebackene Mutter hätte nichts anderes im Kopf.
An dieser Stelle musste auch ich ab und zu mit dem ganzen Rückenwind meiner Familie sagen: „Tut mir leid, Leute, das müsst ihr ohne mich machen – ich muss da jetzt Flagge zeigen.“ Denn sonst heißt es ganz schnell, ich hätte jetzt andere Prioritäten. Wieso sollte ich andere Prioritäten haben? Das Leben als Ganzes ist eine Priorität.