Ute Fes­quet — ehe­mals Vice Pre­si­dent, jetzt Seni­or Exe­cu­ti­ve Pro­du­cer & Manage­ment Con­sul­tant bei Deut­sche Grammophon/Universal

 

 

Erzähl uns von Dei­nem beruf­li­chen Werdegang…

Als sich mei­ne Schul­zeit dem Ende näher­te, wuss­te ich eigent­lich nur, was ich nicht woll­te: In die Fuß­stap­fen mei­ner Eltern, Groß­el­tern und Urgroß­el­tern tre­ten, die Leh­rer, Kan­to­re und Musik­leh­rer waren.  „Was willst du denn dann eigent­lich?“, frag­te ich mich. Fest stand: Ich woll­te unbe­dingt etwas mit klas­si­scher Musik zu tun haben. Ich kom­me aus einer Gegend, in der es nicht gera­de ein Über­an­ge­bot an klas­si­scher Musik gab, aber ich habe alles, was es gab, auf­ge­so­gen wie ein Schwamm. Ich habe gesun­gen, seit­dem ich den­ken kann, und Cel­lo gespielt; für mich war das eine tota­le Mis­si­on, die­se Begeis­te­rung wei­ter­zu­tra­gen. Ich konn­te nicht ver­ste­hen, war­um ande­re nicht eben­so fas­zi­niert von die­ser Musik sind. Zuerst hat­te ich die Idee, Musik­kri­ti­ke­rin zu wer­den. Das müs­se doch ein tol­ler Job sein, weil man ein­fach immer Kon­zer­te besu­chen kann. Außer­dem schrieb ich sehr ger­ne, da könn­te man zwei tol­le Sachen mit­ein­an­der ver­bin­den. Bei einer Lokal­zei­tung wur­de ich total ins kal­te Was­ser geschmis­sen und muss­te alles Mög­li­che machen. Eine Tages­zei­tungs­re­dak­ti­on ist ein ziem­li­cher Durch­lauf­er­hit­zer. Du eig­nest dir etwas an und gibst das wei­ter, ohne das viel hän­gen bleibt, und dann bist du schon wie­der beim nächs­ten Thema.

Dann habe ich dem Drän­gen mei­ner Eltern nach­ge­ge­ben: Ich such­te mir Fächer aus, über die ich ger­ne mehr wis­sen woll­te, habe Geschich­te, Kunst­ge­schich­te und Musik­wis­sen­schaft stu­diert und die Gele­gen­heit im Stu­di­um genutzt, das wei­ter­zu­ma­chen, was ich schon gemacht habe, näm­lich zu schrei­ben. Aber ich habe mich auch umge­guckt, wel­che Arbeits­be­rei­che sonst noch mit Musik zu tun haben, und fest­ge­stellt, dass es eine Rie­sen-Spiel­wie­se ist. Ich war da natür­lich als Stu­den­tin auch in Ham­burg am rich­ti­gen Ort und konn­te bei der Deut­schen Gram­mo­phon anfan­gen. Dann war ich in Wien und habe bei Uni­ver­sal Edi­ti­on wirk­lich noch in der Noten­ste­che­rei ein Prak­ti­kum gemacht; obwohl das alles schon Foto­satz war, hieß es noch so. Ich habe auch im Burg­thea­ter in der Dra­ma­tur­gie gear­bei­tet und ein­fach ver­schie­dens­te Mög­lich­kei­ten genutzt, mei­nen Hori­zont zu erwei­tern. Ich wuss­te ganz sicher, dass ich kei­ne Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin sein will, die ihr Dasein in Biblio­the­ken fris­tet, und so habe ich schon wäh­rend des Stu­di­ums die meis­te Zeit neben­be­ruf­lich in Berei­chen gear­bei­tet, die mit dem zusam­men­hän­gen, was ich heu­te noch tue.

Letz­ten Okto­ber hat­te ich mein zwan­zig­jäh­ri­ges Dienst­ju­bi­lä­um bei der Deut­schen Gram­mo­phon. Das ist eine Rei­se mit vie­len ver­schie­de­nen Sta­tio­nen gewe­sen. Als ich neu­lich mit Kol­le­gen auf mein Jubi­lä­um ange­sto­ßen habe, wur­de ich gefragt, woher das kommt, dass ich immer noch so für klas­si­sche Musik bren­ne. Ich hat­te mein Leben lang eine star­ke emo­tio­na­le Bin­dung dazu. Manch­mal ist das auch ein Fluch, aber über­wie­gend ein Segen. Es ist heu­te gera­de­zu ana­chro­nis­tisch, aber wie­der­um auch nicht unty­pisch, wenn man so früh wie ich in so einem Unter­neh­men arbei­tet, wo eigent­lich alles zusam­men­passt – also die Wer­te, das The­ma und mein Drang, irgend­wie der Rou­ti­ne zu ent­flie­hen. Wenn man es ein biss­chen abs­tra­hiert, zieht sich also ein roter Faden durch mei­nen Kar­rie­re­weg. Ich hat­te durch mei­ne unter­schied­li­chen Tätig­keits­be­rei­che – Mar­ke­ting, Künst­ler­be­zie­hung, Pro­dukt, und dann die Königs­dis­zi­plin A&R (Artists & Reper­toire) – immer eine uni­ver­sel­le Per­spek­ti­ve, was ich toll fand. Man sagt ja immer, Musik sei eine glo­ba­le Spra­che, aber es ist inter­es­sant zu sehen, dass das Pro­dukt dann eben doch nicht so glo­bal ist, wie man manch­mal denkt. Natür­lich sind unse­re Künst­ler musi­ka­lisch über­all unter­wegs, aber das bedeu­tet nicht, dass in Japan das Glei­che gefragt ist wie in den USA.
Bei der Deut­schen Gram­mo­phon ent­de­cken wir Reper­toire wie­der und beleuch­ten es neu. Die Künst­ler, die wir unter Ver­trag haben, sehe ich als Son­der­bot­schaf­ter, die da drau­ßen unter­wegs sind, und die die Begeis­te­rung für Musik mit ande­ren tei­len. Egal, in wel­cher Genera­ti­on Sie sind – ob Sie mit jun­gen Leu­ten in der Aus­bil­dung arbei­ten oder ob Sie selbst ganz jung sind und sagen, ich las­se alles ande­re sau­sen, ich habe mein Instru­ment und mei­ne Beru­fung. Ich fin­de, das ist ganz toll!

 

Gab es auf Dei­nem Kar­rie­re­weg Vor­bil­der oder Mentor*innen?

Ja, die gab es immer: Zunächst war da der Chef­re­dak­teur der Zei­tung, bei der ich als wer­den­de Musik­kri­ti­ke­rin ein Prak­ti­kum gemacht hat­te. Er sag­te „So, jetzt set­zen wir uns mal hin und unter­hal­ten uns über Jour­na­lis­mus.“ Er hat gese­hen, dass ich Talent habe zum Schrei­ben und vor allem ein Gespür für Geschich­ten, für Per­sön­lich­kei­ten, für Begeg­nun­gen. Und er war sehr direkt, manch­mal auch sehr her­aus­for­dernd, gab mir aber immer das Gefühl, dass ich auf­pas­sen muss, dass ich mei­ne Zeit nicht ver­schwen­de, nur weil jemand etwas von mir erwar­tet. Auch eini­ge älte­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen haben mir Wich­ti­ges vor­ge­lebt.
Aber die nächs­te wirk­lich prä­gen­de Per­son in mei­nem beruf­li­chen Leben war Sabi­ne Max, die Lei­te­rin des deut­schen Markts, als ich bei der Deut­schen Gram­mo­phon ange­fan­gen habe. Vor ihr hat­te ich einen Hei­den­re­spekt. Sie war super „tough“, wie man sich Frau­en in einer sehr männ­lich gepräg­ten Bran­che vor­stellt. Auf jeden Anruf mit ihr, um Ideen für unser Reper­toire zu bespre­chen, habe ich mich akri­bisch vor­be­rei­tet. Und dann wähl­te ich ihre Num­mer, und nach einem hal­ben Satz war mein Papier über­flüs­sig und sie hat mir die Geschäfts­welt erklärt. Sie hat mir nicht alles um die Ohren gehau­en, aber mir gesagt, wel­che Fra­gen ich mir stel­len muss. Das war wirk­lich eine Her­aus­for­de­rung im kon­struk­ti­ven Sin­ne. Jedes Mal habe ich etwas mit­ge­nom­men. Spä­ter wech­sel­te sie zum Label und war da inter­na­tio­na­le Mar­ke­ting­che­fin. Sie stell­te mir dann Künst­ler vor und hat mich regel­recht gecoa­ched. Dabei war sie über­haupt nicht zim­per­lich. Ich war man­ches Mal am Boden zer­stört, weil etwas nicht funk­tio­niert hat­te oder mir jemand einen Stuhl vor die Tür stel­len woll­te. Ich glau­be, sie schätz­te die­se Emo­tio­na­li­tät und das Ein­füh­lungs­ver­mö­gen an mir, aber gleich­zei­tig ver­mit­tel­te sie mir, dass ich mir einen Schutz­man­tel zule­gen muss, wenn ich in der Bran­che über­le­ben will. 

Ihr Nach­fol­ger als Prä­si­dent, Micha­el (Lang), hat mich auf ganz ande­re Wei­se sehr geför­dert. Als Ame­ri­ka­ner hat­te er eine für mich neue Her­an­ge­hens­wei­se. Er sag­te in einem Per­so­nal­ge­spräch zu mir „I con­si­der you as mana­ging mate­ri­al“. Das war über­ra­schend, denn ich bin kein Macht­mensch in dem Sin­ne, dass ich Macht für mein per­sön­li­ches Fort­kom­men ein­ge­setzt hät­te. Mir geht es um die Sache, ich bin ein Über­zeu­gungs­tä­ter. Ich kann jedoch zäh, hart­nä­ckig und sehr beharr­lich sein, wenn ich von etwas über­zeugt bin, und möch­te gestal­ten. Ich habe den Wil­len, mei­ne Über­zeu­gung mit ande­ren zu tei­len und klar­zu­ma­chen, war­um sie mit mir gehen müs­sen. Ich mache das auf mei­ne Art, und nicht mit der Faust auf dem Tisch. An mei­nem Job fas­zi­niert mich, dass es kei­ne Wie­der­ho­lung gibt und die Arbeit geprägt ist von stän­di­ger Inno­va­ti­on. Das war auch per­sön­lich immer ein Antrieb. Was kommt als Nächs­tes? Ich habe bei der Deut­schen Gram­mo­phon ange­fan­gen als Pro­dukt­ma­na­ge­rin, wo tol­le Pro­duk­te ent­ste­hen. Allein in mei­nem Bekann­ten­kreis hat­te ich jedoch das Gefühl, dass die meis­ten nichts davon mit­krie­gen. Des­halb woll­te ich doch wie­der stär­ker an die Stel­le, wo sol­che Sachen ver­mit­telt und wei­ter­ge­tra­gen wer­den – ins Mar­ke­ting. Als ich dies mit mei­ner Che­fin Sabi­ne Max besprach, guck­te sie mich an und sag­te: „Ich has­se dich – und du hast voll­kom­men recht, du musst gehen! Das ist genau die Schnitt­stel­le.“ Die­sen Motor, der Wunsch, etwas und natür­lich auch sich selbst zu ver­än­dern, hat spä­ter dann Micha­el erkannt und für neue Her­aus­for­de­run­gen gesorgt. 

Im Bereich A&R ging dann wirk­lich alles sehr schnell, sogar ein biss­chen zu schnell. Nach ein­ein­halb Jah­ren dort frag­te er mich, ob ich den Bereich lei­ten könn­te, ob mir das Spaß machen wür­de. Der Wech­sel vom Head of Inter­na­tio­nal Mar­ke­ting zu A&R war rein hier­ar­chisch ja ein Schritt zurück gewe­sen; aber ich hat­te über­haupt kein Pro­blem, ins Glied zurück­zu­tre­ten, und fand es ganz gut, die poli­ti­schen Din­ge in so einem Kon­zern außen vor las­sen zu kön­nen. Auf der neu­en Stel­le als Exe­cu­ti­ve Pro­du­cer war ich nun sozu­sa­gen Unter­neh­me­rin im Unter­neh­men. Da ist man recht aut­ark. Für mich war die­se neue Auf­ga­be, schließ­lich die Lei­tung der Künst­ler- und Reper­toire­be­rei­che zu über­neh­men, groß­ar­tig, unter ande­rem ein Team zusam­men­zu­bau­en, und nach Ber­lin mit einem neu­en Team zu wech­seln – das hat gro­ßen Spaß gemacht.

 

Wie hast Du Dei­ne ers­te Posi­ti­on als Che­fin erlebt, das Anlei­ten von Mitarbeiter*innen und so weiter?

Das ist ein Pro­zess des Hin­ein­wach­sens und Ler­nens. Eini­ge Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen waren schon vie­le Jah­re dabei und dach­ten sicher: „Ich weiß, wie das geht, und jetzt set­zen die mir jeman­den vor, der aus dem Mar­ke­ting kommt.“ Das war nicht so ein­fach, und damit muss man auch umge­hen kön­nen. Ich war als Jour­na­lis­tin, Musik­wis­sen­schaft­le­rin und Pro­dukt­ma­na­ge­rin in dem Bereich erst­mal „art­fremd“; so etwas macht mir gro­ßen Spaß, mir neue Zusam­men­hän­ge zu erschlie­ßen. Das ist bis heu­te so. Auch im A&R geht es um Begeg­nun­gen, es geht dar­um, Kon­stel­la­tio­nen her­zu­stel­len, die funk­tio­nie­ren kön­nen. Wenn ich mer­ke, dass Leu­te gut mit­ein­an­der kön­nen und sich gegen­sei­tig ver­stär­ken, ist das ein gro­ßes Glücks­ge­fühl, und die­se Moti­va­ti­on kam mir auch als Vor­ge­setz­te zugu­te. Der Team­ge­dan­ke ist mir total wich­tig – ich fin­de es toll, wenn Leu­te einen unter­schied­li­chen Erfah­rungs­ho­ri­zont haben, ver­schie­de­ne Inter­es­sen, auch ver­schie­de­ne kul­tu­rel­le Hin­ter­grün­de. Per­so­nal­füh­rung, Per­so­nal­ent­wick­lung – das macht mir nach wie vor Spaß.
Ledig­lich die Fre­quenz, in der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter wech­seln, ist auf man­chen Posi­tio­nen pro­ble­ma­tisch. Da muss man dann auf­pas­sen, dass man nicht aus­laugt, wenn man stän­dig wie­der bei null anfängt und die Kon­stan­te sein muss.

 

Wor­an lie­gen die­se vie­len Wech­sel heutzutage?

Ich glau­be, es gibt ver­schie­de­ne Grün­de. Zum einen hat sich die Ein­stel­lung zum Berufs­le­ben grund­le­gend geän­dert. Erst vor eini­gen Tagen saß ich mit Kol­le­gin­nen zusam­men, die schon län­ger im Amt sind. Eine von ihnen erzähl­te, sie gehe manch­mal von ihrem Büro im sechs­ten Stock durch die Abtei­lung nach unten, und um halb sie­ben sei da kein Mensch mehr anzu­tref­fen. Das heißt natür­lich nicht, dass die Mit­ar­bei­ter dort nicht arbei­ten, aber bei uns war das eher so, dass wir um sie­ben über­legt haben, was wir zum Abend­essen orga­ni­sie­ren. Und von dort aus ging es dann zu irgend­wel­chen Kon­zer­ten und mor­gens waren wir zum Früh­stück wie­der da. Wir haben auch mit­ein­an­der gelebt. Das hat sich ver­än­dert, weil man mit sei­nen Gerät­chen heu­te von jedem Ort der Welt aus tätig sein kann und auch im Aus­tausch ist. Ich will das über­haupt nicht wer­ten, aber es stärkt nicht so sehr das Wir-Gefühl, wenn man als Ein­zel­kämp­fe­rin der Kol­le­gin neben­an per E‑Mail noch eine Schip­pe drauf­legt, statt kurz den Kopf um die Ecke zu ste­cken und zu sagen: „Kann ich dich kurz was fra­gen?“
Das hat die Qua­li­tät des Arbei­tens stark ver­än­dert und wahr­schein­lich auch das Bedürf­nis geweckt, Gren­zen zu ziehen. 

Zum ande­ren gibt es aus bud­get­tech­ni­schen Grün­den viel öfter befris­te­te Stel­len, weil die Ent­wick­lung nicht vor­her­seh­bar ist. Im gesam­ten Medi­en­be­reich ist ja durch die Digi­ta­li­sie­rung ein gigan­ti­scher Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess ins Rol­len gekom­men, der die­se Dua­li­tät mit sich bringt: Einer­seits wol­len und müs­sen wir das Neue tun, ande­rer­seits kön­nen und dür­fen wir das Alte aber nicht las­sen, weil das immer noch der Ast ist, auf dem wir sit­zen. Das macht zum Bei­spiel die Arbeit eines Pro­dukt­ma­na­gers irre kom­plex. All die­se Fak­to­ren füh­ren dazu, dass es zwar ein span­nen­der Job in einem fan­tas­ti­schen Umfeld ist, die Leu­te aber irgend­wie wei­ter­zie­hen müs­sen, wenn sich nicht unmit­tel­bar im Unter­neh­men etwas ergibt.
Mich beschäf­tigt das, denn eine eta­blier­te Mar­ke wie die Deut­sche Gram­mo­phon – wir sind inzwi­schen 120 – lebt auch von den Men­schen, die mit ihr ver­bun­den sind. Und das sind nicht nur die Künst­ler, das sind eben auch Urge­stei­ne unter den Kolleg*innen, die Jahr­zehn­te dabei sind.

 

Tra­di­ti­on ist ja nicht nur das Aus­hän­ge­schild. Sie soll­te inner­halb des Unter­neh­mens gelebt werden.

Genau, die­se bei­den Pole – Tra­di­ti­on und Inno­va­ti­on. Jedoch sind die vie­len Wech­sel heu­te auch gar kei­ne Schan­de. Als ich in den Beruf star­te­te, gera­de als Beam­ten­toch­ter, such­te man eine Lebens­stel­lung. Ich fand das Wort damals schon furcht­bar, ich woll­te kei­ne Lebens­stel­lung. Das klingt so nach „lebens­läng­lich“, als wäre man dann gefan­gen und dürf­te nicht mehr raus. Aber auf jeden Fall wären Stel­len­wech­sel im zwei­jäh­ri­gen Rhyth­mus für den Lebens­lauf nicht so toll gewe­sen. Heu­te muss man sich einen Lebens­lauf natür­lich sehr genau anschau­en, weil vie­les nur so auf­ge­plus­tert ist und eigent­lich gar nichts heißt. Oft rate ich Mitarbeiter*innen, die sich wei­ter­ent­wi­ckeln möch­ten, aber auch zu gehen, um wie­der­zu­kom­men. Intern gibt es durch­aus Bei­spie­le von Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die nach einem Aus­flug wie­der zurück­kom­men und neue Erfah­run­gen mit­brin­gen. Das fin­de ich gar nicht so verkehrt.

 

Das The­ma Work-Life-Balan­ce ist heu­te viel prä­sen­ter, was ja nicht unbe­dingt schlecht ist. Frü­her war es ganz nor­mal, aus sei­ner Agen­tur nicht vor neun wegzukommen…

Ja, das bewun­de­re ich. Gera­de wenn man die Ambi­ti­on hat, die Arbeit mit einer Fami­lie zu ver­bin­den, geht das gar nicht anders. Ich hat­te das Glück, mir durch mei­ne Fle­xi­bi­li­tät einen gewis­sen Kre­dit zu erwer­ben, so lan­ge ich noch kei­ne Fami­lie hat­te. Des­halb kann ich den Schwer­punkt jetzt bewusst anders set­zen, wenn auch nur bis zu einem gewis­sen Punkt. Das hat viel mit dem Arbeits­um­feld zu tun. In mei­nem Team zum Bei­spiel sit­zen zwei Pro­du­zen­tin­nen, die bei­de 75% arbei­ten. Die eine hat ein ganz klei­nes Kind, die ande­re hat zwei Schul­kin­der. Bei­de sind nicht allein­er­zie­hend, den­noch wür­de es mit einer Voll­zeit­stel­le so nicht klap­pen. Da kommt wie­der der Team­ge­dan­ke zum Tra­gen.
Vor allem bei Frau­en, auch bei mir selbst, beob­ach­te ich die­ses star­ke Pflicht­be­wusst­sein, sowohl auf der beruf­li­chen als auch auf der fami­liä­ren Sei­te, und die­sen gro­ßen Anspruch an sich selbst, an dem man eigent­lich nur schei­tern kann: Wir wol­len bei­dem total gerecht wer­den – eine tol­le Mama sein, die eben nicht einen 80-Wochen­stun­den-Job hat, und gleich­zei­tig super erfolg­reich im Beruf. Plötz­lich kön­nen bana­le Din­ge das per­sön­li­che Schei­tern bedeu­ten: Das Kind bringt aus der Kita irgend­wel­che Viren mit und Sie wer­den krank, und zwar so krank, wie Sie es wahr­schein­lich in Ihrem gan­zen Leben davor nicht waren. Sie müs­sen halb­lang machen, und kei­ner nimmt dar­auf Rück­sicht. Die Arbeit wird wei­ter­hin ein­fach abge­la­den und Sie müs­sen sich damit aus­ein­an­der­set­zen, sonst blei­ben Sachen lie­gen und unbe­ant­wor­tet.
Eine Struk­tur zu schaf­fen und zu haben, die so etwas auf­fan­gen kann, das ist eine gro­ße Her­aus­for­de­rung. Ich bin mir auch nicht sicher, wie gewünscht das in der Unter­neh­mens­kul­tur tat­säch­lich ist. Ich bin ein biss­chen stolz dar­auf, dass es in mei­nem Wer­de­gang mit Sabi­ne Max eine zen­tra­le Frau­en­fi­gur gab. Die war natür­lich eine Aus­nah­me­erschei­nung, doch hat sie mir immer ver­mit­telt: „Macht halt und nehmt ein­fach das Heft in die Hand! Zeigt, dass ihr das könnt und dass es geht und ver­sucht nicht irgend­wie, das mit den Mit­teln zu tun, mit denen eure Sand­kas­ten­kol­le­gen mit den Förm­chen um sich schmei­ßen – macht euer Ding.“ Nicht von wegen, „wir sind benach­tei­ligt und man lässt uns nicht.“ Das war bei allen Kol­le­gin­nen so, um die sie sich geküm­mert hat, nicht nur bei mir, und das ist eine wich­ti­ge Botschaft. 

Kri­tisch betrach­tet hat­te die Deut­sche Gram­mo­phon in ihrer 120-jäh­ri­gen Geschich­te noch nie eine Prä­si­den­tin. In der obers­ten Posi­ti­on waren immer Män­ner. Doch sind inhalt­lich rele­van­te Posi­tio­nen wie mei­ne auch vor mir schon von kom­pe­ten­ten Frau­en besetzt gewe­sen. Ich habe das Gefühl, die Din­ge mit­ge­stal­ten zu kön­nen, die mir wich­tig sind. Ich kann dazu bei­tra­gen, dass wir glän­zen und gut aus­se­hen. Aber in so einem Kon­zern unter­neh­mens­po­li­tisch arbei­ten zu wol­len, ist eine Ent­schei­dung. Ob man das will, fragt man sich im Ver­lauf der Kar­rie­re nicht nur ein­mal. Und in gewis­sen Momen­ten muss man sei­nen Hut auch wirk­lich in den Ring werfen.

 

Hat­test Du Dir die­se Füh­rungs­po­si­ti­on jemals gewünscht, oder war das nicht erstrebenswert?

Bei einem Label ist das A&R ein­fach der wich­tigs­te Bereich, die Keim­zel­le und das Zen­trum der gesam­ten Akti­vi­tä­ten. Durch die Ver­bin­dung mit der Ope­ra­ting Com­pa­ny, also der Ver­triebs­ge­sell­schaft, hat sich das etwas ver­än­dert. Wir sind heu­te stär­ker mit dem deut­schen Markt als mit allen ande­ren ver­bun­den, was ande­re Auf­ga­ben für den Prä­si­den­ten der Deut­schen Gram­mo­phon mit sich bringt, wie die Ver­ant­wor­tung für die Ver­mark­tung von Ver­öf­fent­li­chun­gen der wei­te­ren Klas­sik­la­bel sowie Jazz. Hier­für wür­de mir wahr­schein­lich die direk­te Erfah­rung im kom­mer­zi­el­len Geschäft feh­len. Ich war ja immer Teil der Reper­toire-Gesell­schaft, die natür­lich auch die Vor­aus­set­zun­gen dafür schaf­fen muss, dass Umsät­ze gemacht wer­den kön­nen. Jedoch woll­te ich immer mög­lichst nah am Pro­dukt, an der Pro­duk­ti­on, sein, so dass es letzt­lich eher eine fach­li­che Über­le­gung war. Wie auch bei einem Fes­ti­val müs­sen Sie sich ent­schei­den: „Möch­ten Sie Inten­dant sein oder kauf­män­ni­scher Geschäfts­füh­rer?“ Mei­ne Ent­schei­dung basier­te weni­ger auf der Fra­ge, ob ich mir das zutraue, son­dern war viel­mehr inhalt­li­cher Natur.

 

Gibt es in Dei­nen Augen bei Frau­en ent­schei­den­de Fähig­kei­ten oder Eigen­schaf­ten, um im Kul­tur­ma­nage­ment und expli­zit im Bereich Label voranzukommen?

Ich glau­be, es ist kein Zufall, dass man­che Frau­en, wie auch ich, in die­ser Posi­ti­on sind. Die­ses Hart­nä­cki­ge und die­se Belast­bar­keit, die Ein­stel­lung, dass Sachen irgend­wie gemacht wer­den müs­sen, auch wenn es in dem Moment zu viel ist; das ist eine Ein­stel­lung, die erfolg­rei­che Frau­en gemein haben, und ich könn­te mir vor­stel­len, dass das eine wich­ti­ge Fähig­keit ist. Eine Schlüs­sel­kom­pe­tenz ist außer­dem Kom­mu­ni­ka­ti­on. Auch akti­ves Mit­den­ken und ver­netz­tes Den­ken; im Blick haben, was um einen her­um pas­siert, um die eige­ne Arbeit, aber auch Trends vor­aus­schau­end ein­ord­nen zu kön­nen – sol­che Stär­ken wer­den kli­schee­haft Frau­en zuge­ord­net. Letzt­lich geht es um eine gewis­se Fle­xi­bi­li­tät im Den­ken und Handeln.

 

Gibt es etwas, das Du auf Dei­nem beruf­li­chen Weg anders gemacht hät­test, hät­test Du Dein heu­ti­ges Wis­sen bereits zu Beginn Dei­ner Lauf­bahn gehabt? Und wel­chen Rat wür­dest Du heu­ti­gen Berufs­an­fän­ge­rin­nen mit auf den Weg geben?

Über die­ses The­ma rede ich der­zeit viel mit mei­ner Toch­ter und mei­nen her­an­wach­sen­den Paten­kin­dern, drei Mäd­chen. Ich weiß nicht war­um, aber für Frau­en sind Kar­rie­re und Fami­lie immer noch schwer unter einen Hut zu brin­gen. Das ver­än­dert sich gera­de etwas. Mei­ne Eltern haben immer gesagt: „Wir glau­ben an dich, wir inves­tie­ren in dich, du sollst unab­hän­gig wer­den.“ Bei mei­ner Mut­ter ging das soweit, dass sie sogar gesagt hat: „Von mir aus musst du kei­ne Kin­der in die Welt set­zen, sieh zu, dass du einen tol­len Beruf fin­dest.“ In unse­rer Genera­ti­on war es schon üblich, alles nur auf eine Kar­te zu set­zen. Du bil­dest dich aus, du inves­tierst, das tust du nicht, um einen Kin­der­wa­gen durch die Gegend zu schie­ben. Und wenn die Kin­der mit 16 sagen „Alles klar, ich kom­me allein zurecht“ – was dann? 

Ich wür­de Frau­en heu­te ermu­ti­gen, Beruf und Fami­lie von Anfang an gemein­sam zu den­ken – nicht eins nach dem ande­ren. Im Ide­al­fall ist das kei­ne Auf­ga­be, die man allei­ne bewäl­ti­gen muss, son­dern meis­tens gibt es ja auch noch einen Vater zu die­sen Kin­dern. Dass man das mit einer grö­ße­ren Selbst­ver­ständ­lich­keit mit in das Berufs­le­ben hin­ein­nimmt, und dass man sich auch das Ter­ri­to­ri­um dafür erkämpft, das wün­sche und rate ich jun­gen Frau­en – es soll kein „Ent­we­der-oder“ sein, son­dern ein „Sowohl-als-auch“ sein. Spe­zi­ell in Deutsch­land ist Uni­ver­sal zum Bei­spiel ein Arbeit­ge­ber, der dafür steht, Mög­lich­kei­ten zu schaf­fen. Da gibt es Teil­zeit­ar­beit und eine Kita. Es gibt auch Bera­tung und Coa­chings, gera­de auch zur Bur­nout-Prä­ven­ti­on, die prak­tisch kos­ten­frei Universal-Mitarbeiter*innen und deren Fami­li­en ange­bo­ten wer­den. Das ist ein ganz tol­les Ange­bot, das auch sehr gut ange­nom­men wird.

 

Das ist in der Kul­tur­bran­che ja ein tota­les Unikat.

Ja, das muss man schon sagen. Ges­tern Abend war ich erst in einem Kon­zert mit zwei jun­gen Kol­le­gin­nen. Um elf Uhr habe ich mich ver­ab­schie­det, weil ich heu­te Mor­gen einen fran­zö­si­schen Aus­tausch­schü­ler abho­len muss­te. Und dann haben sie gesagt: „Ute, für uns bist du so eine rich­ti­ge Anchor Woman. Wir wis­sen nicht genau, wie du das schaffst, mit Fami­lie und die­sem Wahn­sinns-Job, aber es ist eine tol­le Bot­schaft, dass das geht, und auch, wie du das machst.“ Man soll­te es ein­fach machen. Und ich glau­be, je selbst­ver­ständ­li­cher und selbst­be­wuss­ter man damit auf­tritt, ohne dass man die­ses „Mut­ter sein“ total vor sich her­trägt, des­to bes­ser funk­tio­niert es. Mir wur­de eher mit Respekt und Aner­ken­nung begeg­net als mit Unver­ständ­nis. Ich habe aber auch erlebt, dass der Säug­ling alle zwei Stun­den zum Stil­len vor­bei­ge­bracht und in der Tee­kü­che gewin­delt wur­de, was bei Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen das Kli­schee bestä­tigt, die frisch geba­cke­ne Mut­ter hät­te nichts ande­res im Kopf.
An die­ser Stel­le muss­te auch ich ab und zu mit dem gan­zen Rücken­wind mei­ner Fami­lie sagen: „Tut mir leid, Leu­te, das müsst ihr ohne mich machen – ich muss da jetzt Flag­ge zei­gen.“ Denn sonst heißt es ganz schnell, ich hät­te jetzt ande­re Prio­ri­tä­ten. Wie­so soll­te ich ande­re Prio­ri­tä­ten haben? Das Leben als Gan­zes ist eine Priorität.