Lina Burghausen — Musikpromoterin, Bloggerin, Autorin und DJ
Die Diskussion um den zu geringen Frauenanteil auf Festival- und Konzertbühnen sowie in den Charts ist im Mainstream angekommen. Die Zeit, Deutschlandfunk, der Bayrische Rundfunk, der Stern – kaum ein großes Medium hat das Thema in den vergangenen beiden Jahren nicht aufgegriffen, und längst sind es nicht mehr (nur) weibliche Autorinnen, die eine Frauenquote für Festival-Bookings und Radiorotationen fordern.
Die Gründe für eine Quote liegen auf der Hand: Geht man davon aus, dass fast jeder Mensch Musik hört, sind ca. 50 Prozent des Publikums weiblich. Warum wirkt die Musikindustrie dann wie ein Herrenclub, in dem weibliche Gesichter auf der Bühne die Ausnahme sind? Auch das Publikum vieler Popmusikfestivals ist stark männlich geprägt, gerade in Genrenischen wie Metal, Punk oder HipHop. Nicht viel anders sieht es in den Musikmedien aus. Ob Musikzeitschrift oder Blog; die gesamte Aufmachung, die Werbepartner, aber auch die Art und Weise, wie über Musikerinnen berichtet wird, zeigen: Der Normalfall ist der männliche Musikfan, der seine männlichen Lieblingsbands und ‑künstler verfolgt. Eine ganze Industrie scheint weibliche Artists wie Hörerinnen zu vergessen. Weshalb ändert sich daran seit vielen Jahren kaum etwas?
Dafür gibt es viele Erklärungen − eine skurriler als die andere: Angeblich interessieren sich Frauen einfach nicht so sehr für das Musizieren wie ihre männlichen Kollegen, scheuen das große Rampenlicht oder strengen sich nicht genug an.
Häufig hört man von Bookern: Man würde ja mehr Frauen buchen, aber es gäbe einfach keine.
Doch ist es wirklich so? Ein Blick in die Statistiken verrät: Die Musikhochschulen werden zu 54 Prozent von jungen Frauen besucht. Eine grundsätzliche Musikaffinität sowie entsprechendes Talent lassen sich dem weiblichen Geschlecht also wohl kaum absprechen. Dazu gibt es inzwischen ganze Festivals, die überwiegend weiblich kuratiert sind und ein sehr abwechslungsreiches, genreübergreifendes Programm aufweisen. Das Frauenfestival Leipzig sei hier nur als ein Beispiel genannt. Initiativen wie Female:Pressure, das DJ-Booking-Netzwerk dieda oder die Reihe „Die Frau in der Musik“ des laut.de-Redakteurs Sven Kabelitz zeigen: Musikerinnen gibt es mehr als genug. Nur wirkt sich diese Tatsache kaum auf die Lineups großer Festivals, in den Charts und auf Preisverleihungen aus.
Bleibt also der Blick hinter die Kulissen, zu den Entscheidern in der Musikindustrie. Auch in den Studiengängen, die auf eine Arbeit in Musikwirtschaft oder ‑journalismus vorbereiten, sitzen viele Frauen. In Großbritannien sind laut einer Umfrage von UK Music sogar 59 Prozent der Berufseinsteiger im Musikbusiness weiblich. In der Berufspraxis scheint der ambitionierte weibliche Branchennachwuchs – auch in Deutschland – dann jedoch an einer gläsernen Decke zu scheitern:
„Frauen kommen zwar zunehmend im Musikbusiness an. Doch die meisten davon arbeiten noch immer in Frauen-typischen Berufen: Sie machen PR, organisieren Meetings, sind Assistentinnen — sind also für Öffentlichkeitsarbeit oder das Umsetzen von Beschlüssen zuständig. Die Entscheider-Positionen besetzen immer noch mehr Männer“, heißt es in der Süddeutschen Zeitung.
Ein Blick in die Geschäftsführungen der 15 umsatzstärksten Musikfirmen 2018 unterstützt diese These. Kein einziges Unternehmen – weder Major- noch Independent-Label oder Vertrieb – wird in Deutschland von einer Frau geleitet. In Zahlen: Null. Und auch die Management-Teams sind, bis auf drei Ausnahmen (Sony Music, Warner Music und Groove Attack), ausschließlich männlich besetzt.
Dieser Trend setzt sich in kleineren Unternehmen ebenso fort. Nur 7,4 Prozent der beim VUT gemeldeten Unternehmen werden von Frauen geführt, 5,5 Prozent von gemischten Teams. Im Musikjournalismus beträgt der Frauenanteil ebenfalls nur 20 Prozent. Nur eine einzige Kreativbranche wird noch mehr von Männern dominiert: Die Gamesbranche. Das zeigt, dass die weibliche Perspektive einfach fehlt, wenn es darum geht, die Musikwelten von morgen zu gestalten.
„Jungs rufen nun einmal Jungs an.“
Das ist ein offenes Geheimnis. So werden neue Stellen oder Konzertslots oft auch unterbewusst mit anderen Männern besetzt. Auf diese Weise wird die Musiklandschaft zu einer von Männern für Männer gemachten Welt, in der für junge Frauen und Mädchen so wichtige, sichtbare weibliche Vorbilder fehlen. Die braucht es sowohl hinter als auch auf der Bühne. Denn es ist nicht nur die mangelnde Repräsentanz von nicht-männlichen Personen in der Musikindustrie – vielmehr geht ein beachtliches künstlerisches Potenzial verloren, wenn Frauen nicht die Möglichkeit bekommen, an Instrument, Mikrofon oder Reglern ebenso zu brillieren wie ihre männlichen Kollegen. Dasselbe gilt für die Strukturen innerhalb der Platten- und Liveindustrie, wo die Perspektiven von Frauen die Musikproduktion und ‑vermarktung diverser, ja aufregender machen könnten.
Doch auch in den Labels, Bookingagenturen und Vertrieben fehlen weibliche Vorbilder in Führungsetagen, vor allem solche, die sich nicht im Einzelkämpfermodus durch die männerdominierte Branche bewegen und die zeigen, dass ein Job in der Musikindustrie auch mit einem Familienleben vereinbar ist – so wie es für Männer seit Jahr und Tag selbstverständlich ist. Initiativen wie Music Industry Women und diverse Mentoringprogramme leisten hier wichtige Pionierarbeit und bringen uns Frauen direkt die wohl wichtigste Lektion bei: Den Weg nach oben geht man am besten gemeinsam – durch Vernetzung und gegenseitigem Support. Dann rufen Mädels vielleicht auch irgendwann einmal Mädels an.